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Artikulation | Malerei & Skulpturen
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Schatten der Drachen

veröffentlicht am: 14. März 2025

arte. 20.15 Uhr – Mitten in der Woche
Der Film: Drachenläufer
Eine Geschichte, die mich tief bewegt hat.

Ein kalter Wind zog durch die engen Gassen von Kabul. Die Stadt, einst voller Leben, lag unter einer schweren Decke der Angst. Es war lange her, dass Amir hier gewesen war. Zu lange. Doch jetzt, da er wieder durch die Straßen seiner Kindheit ging, konnte er die Vergangenheit nicht mehr verdrängen.

Er erinnerte sich an Hassan. An sein Lächeln, an seine unerschütterliche Treue. Und an die Drachen, die sie einst gemeinsam steigen ließen. In jenen Tagen schien die Welt einfach: Hassan war sein Freund, sein Bruder fast, auch wenn sie aus verschiedenen Welten stammten. Doch ein Fehler, ein Moment der Feigheit, hatte alles zerstört.

Damals war es der Winter des Drachenfestes. Die blauen und roten Drachen tanzten am Himmel, rangen miteinander, bis nur noch einer übrigblieb. Hassan war der beste Drachenläufer in Kabul. „Für dich, tausendmal!“, hatte er immer gesagt. Und als Amir den letzten Drachen des Tages besiegte, rannte Hassan los, um ihn zurückzubringen.

Er kam zurück – aber nicht mehr derselbe. In einer dunklen Gasse hatte ihn das Böse eingeholt, während Amir sich weggeduckt hatte. Ein einziges Wort hätte genügt. Ein Aufschrei, eine Geste. Doch Amir hatte nichts getan. Und danach war nichts mehr, wie es war. Hassan blieb treu, doch Amir konnte sich nicht mehr in seine ehrlichen Augen sehen. Also trieb er ihn fort, um sein eigenes Versagen nicht mehr ertragen zu müssen.

Jetzt, Jahrzehnte später, stand Amir wieder in Kabul. Hassan war fort. Tot. Ermordet von einem Regime, das kein Mitgefühl kannte. Aber sein Sohn, Sohrab, lebte – gefangen in den Fängen jener, die ihm alles genommen hatten. Amir wusste, dass er eine Chance hatte, das Unrecht von damals nicht ungesühnt zu lassen. Er musste für Hassan kämpfen, wenn auch viel zu spät.

Die Suche führte ihn tief in das Herz der Dunkelheit. In ein Gebäude, das einst voller Leben gewesen war, nun aber von Stille und Angst erfüllt war. Dort sah er ihn: Sohrab, mit großen, traurigen Augen, die ihm so vertraut vorkamen. In diesem Moment wusste Amir, dass er kämpfen würde. Keine Feigheit mehr. Kein Wegsehen.

Die Befreiung gelang, doch die Schatten der Vergangenheit ließen sich nicht so leicht abschütteln. Sohrab war verstummt. Die Schrecken, die er erlebt hatte, hatten ihn zerbrochen. Amir tat, was Hassan getan hätte: Er blieb an seiner Seite. Und eines Tages, an einem windigen Nachmittag in Amerika, holte er einen Drachen hervor.

Er ließ ihn steigen, wie damals in Kabul. Und Sohrab sah zu. Ganz langsam erhellte ein Lächeln sein Gesicht. Ein zartes, unsicheres Lächeln, aber es war da. Als der Wind den Drachen höher trug, drehte sich Amir zu ihm und sagte:

„Für dich, tausendmal.“

Sohrab sah ihn an. Und in diesem Moment wusste Amir, dass Erlösung möglich war. Vielleicht nicht sofort. Vielleicht niemals ganz. Aber ein Anfang war gemacht. Und manchmal, so wusste er nun, genügt das.

Wikipedia:

Drachenläufer
Der Roman des afghanisch-amerikanischen Schriftstellers Khaled Hosseini, 2003 erschienen. Drachenläufer wurde 2007 von Marc Forster verfilmt.

Das Buch habe ich gleich bei Thalia bestellt und ist schon angekommen.